A lot of different things to say
Assoziationen zu Zoë MacTaggarts besonderen Superheldinnen
Hartmut El Kurdi, Autor & Publizist
Mai/Juni 2024
Katalogtext zur Ausstellung "Something to Say", Kunstverein Barsinghausen
“Die Frauen auf Zoë MacTaggarts Gemälden sind so wenig dezent, wie die Gemälde dezent sind. Die Frauen drängen nach vorne.”
Bilder, Skulpturen, aber auch Romane, Theaterstücke und Songs haben Titel. Wenn sie nicht grade „Ohne Titel (7)“ oder „ # 9“ heißen. Was ja - in der Verweigerung – auch schon wieder Titel sind.
Aber hat ein Kunstwerk auch ein „Thema“?
Klar, denken wir, es handelt ja von irgendwas. Aber wenn wir das Thema benennen wollen, wird es oft schwierig und schwammig.
Kunst ist kein Thesenpapier.
Sondern Annäherung an ein Motiv, ein Sujet, eine Fragestellung.
Kunst verfehlt, streift, scheitert, macht Umwege, kommt zurück, versucht es erneut …
Komm, lass die nicht erzählen, was du zu lassen hast.
Ähnlich verhält es sich auch mit Ausstellungen und ihren „Themen“. Könnten wir so einfach sagen, worum es bei den Kunstwerken einer Ausstellung geht, bräuchten wir die Ausstellung und die darin gezeigten Werke nicht.
Kunst, egal welchen Genres, findet – so sie denn keine Propaganda oder PR ist – immer auf verschiedenen Ebenen statt. Ist mehrdimensional, mehrdeutig, offen. Und dennoch hat sie etwas zu sagen, also „something to say“. Meistens sogar nicht nur „something“, sondern eben „a lot of different things”.
Klar aber ist auch: Das, was ich als Thema eines Kunstwerkes oder einer Ausstellung zu erkennen glaube, hat mindestens genauso viel mit mir als Betrachter zu tun wie mit der Absicht der Künstlerin.
Deswegen, und weil ich ein Autor und Theatermacher und kein Kunstwissenschaftler oder -kritiker bin, mag man mir verzeihen, dass ich im Folgenden subjektiv und persönlich werde…
Wenn ich Zoë MacTaggarts Bilder betrachte, sehe ich Frauen, die stark sind und Frauen, die stark sein wollen.
Ich sehe auch, dass es keine Stärke ohne (potentielle) Verletzungen gibt.
Ich sehe Frauen im Spannungsfeld von Macht und Machtlosigkeit.
Ich sehe Frauen, die für etwas einstehen, ihre Meinung sagen, laut und „in the face“,
aber auch Frauen, die mit ihren Körpern kommunizieren, weil man im „body talk“ paradoxerweise manchmal deutlicher werden kann als mit Worten.
Oder weil uns manchmal keine Worte zur Verfügung stehen.
Eigentlich malt Zoë MacTaggart ausschließlich Superheldinnen. Erfolgreiche und scheiternde.
Was kein Widerspruch sein muss. Nicht alle sind sofort als Superheldinnen erkennbar wie „Wonder Woman“ auf „Who Run di World“ aus der Reihe „Wheels and Wonders“.
Manche tragen Burlesque-Kostüme, zeigen ihre Körper, manche tragen lange Gewänder, manche sind auf Rollschuhen oder Skateboards unterwegs….
Als Betrachter fühle ich mich aufgefordert, darüber nachzudenken, wie die Superheldinnen in meinem Leben aussahen und aussehen.
Das Superheldencape der Frau, bei der ich aufwuchs, war zum Beispiel kein Umhang, sondern bestand aus ein paar Hosen, die meine Mutter trotzig als ein Zeichen ihrer partiellen Dissidenz trug.
Die – wie in fast allen Religionen zwangsläufig männlichen – Chefs der christlich-fundamentalistischen Sekte, deren Zusammenkünfte wir regelmäßig besuchten, waren der Meinung, dass Frauen
1. keine führenden Positionen in der Gemeinde übernehmen dürften,
2. sich um den Haushalt zu kümmern und
3. im Gottesdienst Kleider oder Röcke zu tragen hätten.
Das Paradoxe war, dass meiner Mutter ansonsten fast jeden Quatsch glaubte, den diese Männer ihr erzählten, aber konsequent auf diese dritte Regel pfiff. Warum genau, weiß ich bis heute nicht.
Aber so oft man sie beiseite nahm und ihr ins Gewissen redete, so oft ignorierte sie die Anweisungen.
Jedes Mal, wenn wir uns Zuhause fertig machten, um in die Kirche zu gehen und sie wieder mit ihren Superheldinnen-Hosen aus ihrem Zimmer kam, spürte ich, ohne dass ich das damals hätte formulieren können:
Widerstand ist möglich.
Ich sehe in Zoës Bildern auch eine Superheldin, der ich als Kind in unserem Löwe-Opta-Schwarzweiß-Fernseher – meinem zweiten Erziehungsberechtigten – begegnet war. Ihr Superheldinnen-Dress bestand unter anderem aus einem engen Leder-Catsuit.
Sie war eine der beiden Hauptfiguren einer Serie, die auf englisch „The Avengers“ („Die Rächer“) hieß, auf deutsch aber tendenziell sexistisch: „Mit Schirm, Charme und Melone“. Denn nur eines dieser Attribute bezog sich auf meine Heldin: der „Charme“.
Dabei hatte Emma Peel so viel mehr zu bieten. Vor allem war sie schlagfertig auf mehreren Ebenen:
Einerseits konterte sie die geistreichen Witze ihres Sidekicks (als nicht mehr empfand ich ihn) John Steed mit einer distanziert-ironischen Intellektualität – und andererseits beherrschte sie Karate und legte jeden Mann, der sich ihr in den Weg stellte auch buchstäblich aufs Kreuz.
Ich verehrte Emma und wollte so sein wie sie. Nicht wie ihr männlicher, durchaus nicht unsympathischer, aber in meinem Empfinden eher nebensächlicher Counterpart Steed.
Emma Peel war modern, stark und selbstbewusst. Als ich über zwei Jahrzehnte später Vater wurde, hängte ich im Zimmer meiner Tochter ein kleines Porträt von ihr auf. Als eine Art Persönlichkeits-Vodoo.
Die Superheldinnen in Zoë MacTaggarts Serie “Gebrochene Zügel” sind ambivalent. Ich erkenne in ihnen viele echte und fiktive Cowgirls und Westernheldinnen, die ich verehrte und immer noch verehre:
Annie Oakley, die Protagonistin des Musicals “Annie get your gun”, deren programmatische Liedzeile “Anything you can do, I can do better” eigentlich alles sagt, Cat “Hängen sollst du in Wyoming” Ballou, Dolly “It takes a lot of money to look this cheap” Parton und aktuell:
Die „Queen B“ der amerikanischen Popmusik Beyoncé Knowles, die sich auf ihrem letzten Album mal eben in den stolzen „Cowboy Carter“ verwandelte und damit die Schwarzen Wurzeln der Countrymusic ins öffentliche Bewusstsein (zurück)holte: „Genres are a funny little concept, aren’t they?“
Ich sehe aber auch, wie diese starken Frauen ihre Pferde zu dominieren suchen.
Dialektisch muss ich dabei an den vierten Teil von Jonathan Swifts satirischem Roman „Gullivers Reisen“ denken, die „Reise ins Land der Houyhnhnms“.
In diesem Land herrschen die Pferde über die Menschen. Die Pferde, die sich selbst „Houyhnhnms“ nennen, kultivieren die Vernunft; Freundschaft und Güte sind ihre höchsten Werte. Sehr angenehme Wesen. Eigentlich.
Denn all ihre Tugenden hindern sie nicht daran, sich die Menschen, ihre Mitgeschöpfe – von ihnen als „Yahoos“ bezeichnet – als Haus- und Lasttiere zu halten …
Die Frauen auf Zoë MacTaggarts Gemälden sind sowenig dezent, wie die Gemälde dezent sind.
Die Frauen drängen nach vorne. Manchmal sogar aus dem Bild heraus.
Die Werke sind groß, bunt und intensiv, „pop“ im besten Sinne.
Und sie öffnen die Fenster und Türen zu unseren eigenen Erinnerungssuiten und Erfahrungskabuffs.
So wie Kunst das tun sollte.
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